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Der Fado verleiht
Flügel
Mariza singt im Forum Ludwigsburg
Rezension für die Eßlinger Zeitung
vom 28./29. Juli 2007
"Fado" heißt Schicksal. Fado ist Portugals musikalische
Identität. In den Armenvierteln Lissabons entstanden und
zunächst in düsteren Spelunken und Hafenkneipen vor Seeräubern,
Straßenmädchen und Bohémiens aufgeführt, mauserte sich der Fado
im 19. Jahrhundert zur portugiesischen Ausdrucksform par
excellence.
Diese Kunst aus emotional eruptivem Gesang und gelassener
Gitarrenbegleitung mischt portugiesische, afrikanische und
arabische Stilelemente zu einer ungemein aufwühlenden,
berührenden Musik. Das macht ihn heute zu Portugals
künstlerischem Exportschlager. Dafür sorgt auch Mariza, die
jetzt im Rahmen der Ludwigsburger Festspiele beweisen konnte,
wie beliebt der Fado auch hierzulande ist: Das Ludwigsburger
Forum war ausverkauft, das Publikum hingerissen.
Aber Mariza gibt sich auch nicht mit der bloßen
Weiterführung des traditionellen Fado im Stile des großen,
altehrwürdigen Vorbildes Amália Rodrigues, der "Königin des
Fado", zufrieden. Sie schenkt ihm ein modernes Antlitz. Auf
ihren Platten legiert sie ihn zuweilen mit Jazzelementen,
arrangiert ihn gerne mal mit satten Streichern, Klavier und
Bläsern.
Beim Konzert in Ludwigsburg hielt man sich zwar an das
übliche Instrumentarium mit einer klassischen spanischen, einer
dickbäuchigen portugiesischen und einer Bass-Gitarre –
traditionell von Männern gespielt, die hinter Mariza einen
Halbkreis bildeten. Nur bei einigen Songs kamen ein Streichtrio
und ein wenig Perkussion dazu. Aber im Innern hat sich der Fado
verändert, hat Mariza ihn sich einverleibt und zu ihrem ganz
eigenen gemacht, ihn mit ihrem künstlerischen Ich verschmolzen.
Nicht mehr nur fadotypische Klagelieder, die von Sehnsucht,
unglücklicher Liebe, entbehrungsreichem Leben handeln, prägen
ihr Programm. Nein, Mariza singt auch quirlige Tanzlieder,
fordert dabei das Publikum zum Mitklatschen auf.
Unbändige Lebensfreude entlädt sich, wenn sie "Transparente"
singt. Ein Lied über ihre afrikanische Großmutter, die eine
recht temperamentvolle Frau gewesen sein muss. Mariza ist zwar
in den Straßen Lissabons groß geworden, ihre Mutter aber stammte
aus Mosambik. So wird "Transparente" von afrikanischem Melos und
Rhythmus getragen, und Mariza tanzt und hüpft unbeschwert zur
kecken, leichtbögigen Improvisation des Sologeigers.
Der Herzschlag ihrer Lieder aber bleibt natürlich die "saudade",
jenes spezifisch portugiesische melancholische Lebensgefühl, das
sich nicht übersetzen lässt in unsere Sprache, das aber für die
Portugiesen so etwas sein muss, wie für die Amerikaner der
Blues. Im Gesang der Dreißigjährigen entfaltet sich die ganze
Ausdruckskraft des Fado: Eine Mischung aus Singen, Weinen,
Schreien, Flüstern, die kunstvoll melismatisch ausgestaltet wird
und sich virtuos aller Gesangsregister bedient. Vielleicht ist
dies das Geheimnis des Fado: Die Verbindung von Kunstgesang mit
"natürlichen" Mitteln der Gefühlsäußerung.
Wenn Mariza ihren Lieblingsfado "Primavera" singt, der vom
tödlichen Frühling erzählt, in dem eine Liebe zerbrach, dann
schmeckt man das "trockene Brot der Einsamkeit" förmlich auf der
Zunge. Und erkennt die Keimzelle des Fado: Das Bedürfnis, sich
herauszusingen aus einer desolaten Realität und sich der
Traurigkeit lustvoll hinzugeben.
Zuweilen scheint Mariza zu schweben. In ihrem dunklen,
bodenlangen, leicht glitzernden Kleid erinnert ihre schmale,
hohe Gestalt ein wenig an Giacometti-Plastiken. Und ihre oft
über dem blondierten und kurzen Haarschopf gen Himmel
gestreckten Arme scheinen es anzudeuten: Der Fado verleiht
Flügel – zumindest wenn Mariza ihn singt.
©
Verena Großkreutz
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