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"Anspruchsvolle Kunst kostet Geld"
Neue Musik zwischen Sparzwängen und
Quotendruck: Die "attacca"-Reihe des RSO wurde auf einen Tag eingedampft
Interview für die Eßlinger Zeitung vom 4.12.2009
Stuttgart
– Morgen findet "attacca", die
Neue-Musik-Reihe des SWR-Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart (RSO), in
neuer Form statt. In drei Veranstaltungsblöcken erklingt im Stuttgarter
Theaterhaus neueste Film-, Kammer-, Vokal- und Orchestermusik. Unter den
elf Werken sind sieben Uraufführungen. Das eintägige Konzept ersetzt die
"attacca"-Konzerte des RSO, von denen es zuletzt drei im Jahr gab.
Ein Gespräch mit Hans-Peter Jahn, dem leitenden Redakteur
für Neue Musik beim SWR, über die Gründe.
Herr Jahn, was erwartet das Publikum im Theaterhaus?
Jahn:
Man kann den Reichtum der Kompositionsmöglichkeiten unserer Zeit
erleben. Die Werke sind extrem unterschiedlich. Das macht den Tag so
spannend.
Der Vormittag widmet sich dem Schaffen Jochen Kuhns. Es wird sein neuer
Kurzfilm "Exit" gezeigt. Was lässt sich über diesen Ausnahmekünstler
sagen?
Jahn:
Jochen Kuhn ist ein einzigartiger Filmemacher. Er
malt nicht nur in seinen Filmen, lässt durch das Malen, Übermalen,
Verwischen und Auslöschen eine Filmgeschichte entstehen und vergehen,
sondern er ist auch Komponist, der im Kontext einer Filmhandlung nach
neuen musikalischen Wegen sucht. Da er in "Exit" erstmals ohne Sprache
arbeitet, bringen wir am Samstag ergänzend dazu den Text und die Musik
zu "Krausetheater" – ohne diesen Film zu zeigen. Der ist noch nicht
fertig. Kuhns legendäre Stimme spielt ja sonst in seinen Filmen eine
bedeutende Rolle. Diesen Aspekt wollten wir nicht unterschlagen.
Am
Nachmittag findet ein Kammerkonzert statt, in dem auch ein neues
Chorwerk des schwedischen Komponisten Anders Hillborg erklingt, außerdem
Werke für zwei präparierte Klaviere von John Cage ...
Jahn:
Dieselbe Präparation der Klaviersaiten mit unterschiedlichen
Materialien, die John Cages Stücke verlangen, ist auch für Carola
Bauckholts "Myzel" für zwei Klaviere Voraussetzung. Außerdem gibt es
zwei neue Werke für Akkordeon und Posaune mit den beiden wunderbaren
Interpreten Stefan Hussong und Mike Svoboda: Nicolaus A. Hubers "Angel
Dust" ist theatralisch, grotesk und skurril. In Uroš Roijkos Werk "Im
Zeichen der Erfühlung" geht es ernsthaft zu.
Im
Abendkonzert des RSO gibt es ein Solokonzert für das rare Instrument
Cymbalum. Was hat es damit auf sich?
Jahn:
Hans Joachim Hespos' Cymbalum-Konzert entstand auf Wunsch der Solistin
Enikö Ginzery, die mal vor einiger Zeit in einem Neue-Musik-Konzert in
Stuttgart vor nur sieben Leuten spielen musste. Es war mein Anliegen,
dass mehr Menschen in Stuttgart diese phänomenale Musikerin hören
können. So dürfte sie sich etwas wünschen, und das war eben ein Werk von
Hespos. Auch das Oboenkonzert von Anders Hillborg, das Lajos Lencsés
spielen wird, wurde auf Wunsch des Interpreten komponiert. Erstmals
erklingt zudem die revidierte Fassung von Philippe Manourys "Abgrund":
ein gewaltiges, großes, spektrales Werk.
Es
gab zuletzt vier, dann nur noch drei "attacca"-Konzerte pro Jahr. Jetzt
wurde die Reihe auf einen Tag eingedampft. Warum?
Jahn:
Als ich vor 20 Jahren beim SWR als Redakteur für Neue Musik anfing, gab
das RSO im Jahr acht Konzerte der Reihe "Musik unserer Zeit". 60 bis 100
Leute besuchten damals die Konzerte in der Villa Berg und im Funkstudio.
Entsprechend dem kunstbeflissenen Einverständnis darüber, was eine
öffentlich-rechtliche Anstalt zu leisten hat, haben die Zuschauerzahlen
damals keinen Intendanten oder Hörfunkdirektor interessiert. Aufgrund
des medialen Wandels und des heutigen Quoten- und Leistungsdenkens hat
sich das geändert. Panik herrscht unter
Kunstschaffenden, Festivalmachern und Veranstaltern. Es geht
darum, die Menschen in die Konzerte hineinzuprügeln, damit den
Funktionären wenigstens über die Anzahl von Zuhörern vermittelt werden
kann, dass ein gesellschaftliches Interesse bestehe. Es kann aber für
neue Kunst kein gesamtgesellschaftliches Interesse geben. Vor diesem
Hintergrund blieb nichts anderes übrig, als "attacca" auf einen Tag zu
konzentrieren. Man muss der Lustlosigkeit der Gesellschaft auf Neue
Musik auch entgegenkommen, indem man ihr so wenige Konzerte wie möglich
anbietet.
Gegen regelmäßige "attacca" Veranstaltungen wird gerne vorgebracht, das
RSO spiele ja auch Uraufführungen in seinen Abo-Konzerten, und das
genüge angesichts des müden Interesses an Neuem.
Jahn:
Das allein kann die Aufgabe nicht erfüllen,
heutigen Komponisten ein Podium zu bieten, auf dem ihre Musik zu blühen
beginnt. Und wenn etwas nicht allgemein ankommt, heißt das noch lange
nicht, dass es keine Qualität besitzt. In dieser Krisenzeit der
Kultur-Einsparungen sollte es jedem klar sein, das alles Weggestrichene
sich niemals rückbilden wird. Es muss zu einem anderen Zeitpunkt wieder
von ganz unten aufgebaut werden. Wenn Kunst anspruchsvoll sein will,
kostet das Geld.
Wie wollen Sie zukünftig mit dem Quotendruck umgehen?
Jahn:
Sollten die Konzerte morgen wieder schlecht besucht sein, werde ich über
eine zukünftige Planung nachdenken müssen. Die kann auch lauten: gar
keine Konzerte mehr mit Neuer Musik. Ich bin für den Inhalt, für das
Programm zuständig, nicht für die Eintreibung von zuhörenden Menschen.
©
Verena Großkreutz
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