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Ein "widerhaariges Stück"
Richard Strauss' Burleske für Klavier und Orchester d-Moll
Werkeinführung für die
Komische Oper Berlin, 2009
Hans von Bülows Antwort muss für den jungen Richard Strauss ein
Schlag ins Gesicht gewesen sein: "Jeden Takt eine andere Handstellung.
Glauben Sie, ich setze mich vier Wochen hin, um so ein widerhaariges
Stück zu studieren?" Mit diesen abfälligen Worten wies der berühmte
Klaviervirtuose und Dirigent die Burleske für Klavier und Orchester
zurück, die Strauss' ihm gewidmet hatte. Sie sei "unklaviermäßig und für
ihn zu weitgriffig", so Bülow. Ein zweifelhaftes Urteil eines Pianisten,
der Tschaikowskys b-Moll-Konzert zur Uraufführung gebracht hatte – und
ein niederschmetterndes Erlebnis für den Komponisten: Denn man kann sich
vorstellen, dass Strauss seinem verehrten Meister keine musikalischen
Peanuts aus seiner Werkstatt angeboten hat. Nein, hörbar steckt in
seinem Stück jede Menge Herzblut, und mächtig stolz wird er darauf
gewesen sein – vor der vernichtenden Abfuhr seines Mentors.
Die Burleske für Klavier und Orchester, die im Winter 1885/86
entstand, ist eine der wenigen Werke Strauss', die während seines
kurzen, aber lehrreichen Aufenthalts im thüringischen Residenzstädtchen
Meiningen entstanden sind, wo Strauss vom Oktober 1885 bis zum April
1886 als Musikdirektor am Hofe des "Theaterherzogs" Georg II. von
Sachsen-Meiningen arbeitete. Es war seine erste feste Anstellung, und er
hatte sie auf Empfehlung Bülows erhalten. Für den gerade mal 21-jährigen
Komponisten bedeutete sie einen deutlichen Karrieresprung, hatte Bülow
doch als Hofmusikintendant die Meininger Hofkapelle zu einem
Eliteorchester geformt und sie zu Weltruhm gebracht.
Strauss, der im Dirigieren noch unerfahren war, leitete als Bülows
Assistent Proben und Konzerte des Orchesters und des Chorvereins und
trat als Pianist auf. Er erlernte in Meiningen das Handwerk des
Dirigierens, indem er Bülow bei den Proben beobachtete und ihn schon
bald vertrat. In den letzten Wochen seiner Tätigkeit wurde er sogar
selbst Leiter des Orchesters, weil sich Bülow von Meiningen
verabschiedet hatte.
Bülow hatte großen Einfluss auf den jungen Mann. Strauss schreibt
über seinen Mentor: "Wer ihn einmal Beethoven spielen oder Wagner
dirigieren hörte, wer je einer seiner Orchesterproben lauschte, für den
musste er das Vorbild aller leuchtenden Tugenden des reproduzierenden
Künstlers sein, und seine rührende Sympathie für mich, sein Einfluss auf
die Entwicklung meiner künstlerischen Fähigkeiten war das einschneidende
Moment in meiner Laufbahn."
Dass Bülow die Burleske ablehnte, wurde ihr zum Verhängnis. Nach
ersten Proben des Stücks mit dem Meininger Orchester zeigt sich Strauss
bald "total entmutigt", empfindet das Stück als "unmenschlich schwer",
hält es für "reinen Unsinn". "Die Begleitung ist wohl etwas überladen
und der Klaviersatz zu detailliert", gesteht er Bülow. Strauss lässt das
Werk zunächst in der Schublade verschwinden.
Es war der Pianist Eugen d'Albert, der ihn einige Zeit später eines
Besseren belehrte. Strauss macht sich noch einmal an die Arbeit,
streicht das eine oder andere, vereinfacht den Klavierpart – und widmet
das Werk nun d'Albert, der es am 21. Juni 1890 in Eisenach anlässlich
der 27. Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins
unter Leitung des Komponisten zur Uraufführung bringt. Kommentar Bülows:
"D'Albert admirable in dem ebenso interessanten als meist häßlichen
Stücke von Strauss, das er verschönt und fast dankbar macht." Und einige
Monate später zu Brahms: "Strauss' Burleske entschieden genial, aber
nach anderer Seite hin erschreckend." Solcherlei Urteil baut Strauss
nicht wirklich auf. Die Anfrage eines Verlegers, das Stück zu
veröffentlichen, lehnt er zunächst ab: "Es widerstrebt mir furchtbar,
jetzt ein Werk herauszugeben, über das ich weit hinaus bin und für das
ich nicht mehr mit voller Überzeugung einstehen kann." Erst 1894
erscheint die Burleske im Druck. Aber so richtig anfreunden will sich
der Komponist mit seinem Jugendwerk nie mehr. Eine Opuszahl zumindest
verweigert er ihm.
Was ist burlesk an Strauss' Burleske? Vielleicht ist Strauss' eigene
Ablehnung der Burleske der Grund, warum sie auch heute eher selten
aufgeführt wird. Und das ist sehr schade. Denn das Werk ist prallvoll
mit witzigen Ideen, mitreißender Musik und delikater Ironie.
Dabei kommt es nicht von ungefähr, dass Strauss den eher abstrakten
Titel "Scherzo", den er seinem Stück zunächst zugedacht hatte, bald
fallen ließ und es "Burleske" taufte, also Bezug nahm auf eine Gattung
des Theaters, die sich als possenhaftes Lustspiel mit improvisatorischen
Elementen definiert. Der zukünftige Opernkomponist und Meister der
Sinfonischen Dichtung verbindet schon in diesem Frühwerk die
instrumentale Tradition mit tondichterischen Ambitionen, koppelt
Elemente der Gattung Klavierkonzert an neue, theatralische Gesten.
Dem einsätzigen Werk liegt zwar die Sonatenform zugrunde: Deutlich
hört man die Formabschnitte Exposition (welche sich der Vorstellung und
Ausformulierung der formkonstitutiven Themen widmet), Durchführung (wo
sich das Geschehen dramatisiert und verflüssigt), Reprise (die
zurückgeht an den Anfang) und Coda (ein langer "Nachspann").
Aber schon die ersten Takte machen deutlich, dass die Zuhörer noch
etwas anderes erwartet als "nur" absolute Musik: Hier stellen sich
plastisch artikulierende dramatis personae, also handelnde "Personen",
vor. Zunächst recht selbstsicher die Pauken, dann etwas grell und zickig
das Orchester, dann durchaus cholerisch das Klavier. Zwischen diesen
drei "Parteien" entspinnt sich im Folgenden ein faszinierender Dialog,
ja ein Disput, und am Ende gar ein Wettkampf: Wer hat das letzte Wort?
Einzelne Instrumente – nicht nur die Pauken – mischen sich ständig ein
in den Fortgang des Geschehens und kommentieren es.
Die zündende Idee des Stücks ist das viertaktige Pauken-Solo gleich
zu Beginn. Es ist die thematische Keimzelle des ganzen Werks, die immer
wieder Gegenstand des Dialogs wird. Von diesem kurzen Thema leitet sich
die Mehrzahl der anderen Themen ab. Ein Werk nur von Pauken beginnen zu
lassen, ist schon in klanglicher Hinsicht eine sehr ungewöhnliche
Maßnahme: Zwar sind Pauken auf genaue Tonhöhen gestimmt – hier erklingen
gemäß der Grundtonart d-Moll die Töne d, a, e und f. Aber ihre
Klangwirkung ist vor allem im Piano vage, dunkel und verdämmernd. Die
Antwort des Orchesters und des Klaviers kommt dann prompt und natürlich
in aufdringlichem Forte: Einen solchen Anfang kann man sich doch nicht
bieten lassen!
So draufgängerisch und derb, wie sich die Eulenspiegeleien der
späteren Tondichtungen von Strauss oft artikulieren, gibt sich die
Burleske nicht. Alles ist hier feiner, graziler, geistreicher,
spielerischer. Da hat sich ein 21-Jähriger mächtig ins Zeug gelegt,
wollte imponieren, schöpfte aus dem Vollen – mit besonders witzigen
Einfällen, mit subtiler Instrumentation und greller, quecksilbriger
Harmonik.
An der Oberfläche geht es turbulent zu: Quirlig, rasant und
sprunghaft wechseln die Stimmungen. Da brahmst und wagnert es, da
erklingen auch Walzerthemen und schwelgerisch-lyrische Passagen. Als
komisches Stilmittel dient natürlich immer wieder die Übertreibung, wie
sie sich etwa in jenen sinnfreien chromatischen Akkordgängen offenbart,
die von oben nach ganz tief unten die gesamte Klaviatur durchmessen. Oft
werden die Eskapaden des Klaviers spöttisch kommentiert von den
Holzbläsern. Der Rhythmus und das Metrum werden durch harte
Akzentuierungen ständig gegen den Strich gebürstet. Humoristisch
hinausgezögert wird der Beginn der Reprise. Und dann die Pointe am Ende:
Aller Überzeugungskunst des Klaviers und des Orchesters zum Trotze: Das
letzte Wort hat die Pauke!
© Verena Großkreutz
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