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Die Wut über den verlorenen
Groschen
Beethoven und die Finanzkrise
Beitrag
für die Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Ausgabe
Mai/Juni 2009
Er war sehr mies im Rechnen, der gute Ludwig van. Er konnte Zahlen
nicht multiplizieren, geschweige denn Brüche, und selbst die Addition
machte ihm arge Schwierigkeiten. Um etwa 11 Halbe zusammenzuzählen, sah
sich der arme Mann gezwungen, elfmal "1/2" untereinander zu schreiben,
um dann die schmucke Zahlenreihe in einem überraschenden Ergebnis
zusammenzuführen. Die Beethovensche Summe lautete nämlich: 10 ½!
Grund für die Rechenschwäche war wohl die fehlende Schulpflicht. Die
Schulbesuche des kleinen Luigi gingen kaum über die Elementarschule
hinaus. Im Alter von zehn Jahren drehte er der Schule für immer den
Rücken zu. 1770 hineingeboren in eine Bonner Musikerfamilie, stand für
ihn vor allem die musikalische Ausbildung auf dem Tagesprogramm. Als
Sohn eines Hofmusikers und Enkel des ehemaligen Hofkapellmeisters
gehörte er ohnehin schon früh zur arbeitenden Bevölkerung der Musiker im
Dienste des Kurfürsten von Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren wurde er
als Hoforganist angestellt. Da hatte er längst eigene Werke
veröffentlicht.
Nachhilfeunterricht im
kleinen Einmaleins
Während sich der bildungshungrige junge Mann emsig dem politischen,
literarischen und philosophischen Selbststudium hingab ("Es gibt keine
Abhandlung, die sobald zu gelehrt für mich wäre, ohne auch im mindesten
Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit zu machen"), blieb ihm das
Zahlenwirrwarr in seinem Kopf und auf dem Papier zeitlebens erhalten.
Noch wenige Monate vor Beethovens Tod erteilt ihm sein Neffe Karl
Nachhilfeunterricht im kleinen Einmaleins, schreibt ins
Konversationsheft: "Die Multiplikation ist nur eine vereinfachte
Addition. Die Rechnung geschieht also auf dieselbe Art. Man schreibt
jedes Theilprodukt unter seine Stelle, besteht es aus 2 Ziffern, so wird
die linke zum Theilprodukt der nächsten Stelle addirt. Ein kleines
Beyspiel: 2348 ist mit 2 zu multipliziren".
Solcherlei Tipps hätten den vom schnellen Reichtum geblendeten, nach
neuen Investitionsgütern geifernden Investmentbankern und den vor
Geldgier blinden Hypothekensammlern, -bündlern und -verkäufern, die
gemeinsam die aktuelle globale Wirtschaftskrise ausgelöst haben,
sicherlich auch gut getan. Hätten sie mal eins und eins zusammengezählt,
dann wären sie schnell dahinter gekommen, dass eine Seifenblase nicht
ins Unendliche wachsen kann, sondern dass sie irgendwann einmal
zerplatzt. "Der globale Geldtopf glaubte, er zahle Tausende von
Milliarden Dollar auf ein Sparkonto ein, aber in Wirklichkeit stopfte er
die Hälfte davon in den Ofen. Das Geld ist weg, verbrannt, wird niemals
zurückkehren", so fasste es "Folio", die Zeitschrift der Neuen Zürcher
Zeitung, in ihrer Jänner-Ausgabe bildlich zusammen. Das erinnert nicht
wenig an Beethovens Bruchrechnungskünste: 11 Halbe machen 10 ½. Und
flugs befindet man sich in einer anderen Finanzrealität. Man könnte
glauben, man sei reich.
Wenig Sinn fürs Geld
Doch das tat Beethoven – im Gegensatz zu den Investmentpfeifen –
nicht. Im Gegenteil: Er starb in der Überzeugung, in Armut gelebt zu
haben. Dabei hatte er meistens recht gut verdient, obwohl er – für
damalige Verhältnisse noch ungewöhnlich – sein Dasein als
freischaffender Künstler ohne feste Anstellung finanzierte: durch die
Aufführungen und Drucklegungen seiner Werke, durch regelmäßige Zahlungen
von treuen fürstlichen Mäzenen. Am Ende hinterließ er ein ansehnliches
Vermögen, unter anderem auch Aktien.
Aber er konnte seine finanzielle Situation zeitlebens einfach nicht
richtig einschätzen. Erschwerend hinzu kam die seinerzeit ohnehin schon
äußerst komplizierte und schwer durchschaubare wirtschaftliche Situation
in Wien, die geprägt war von zunehmender Inflation, einer verwirrenden
Vielfalt von Währungseinheiten, wechselnden Währungskursen sowie einer
permanenten Preissteigerung – und nicht zu vergessen den
österreichischen Staatsbankrott von 1811!
Doch Beethoven wurde deshalb nicht zum Geizhals. Trotz bescheidenem
Lebensstil waren seine Ausgaben erstaunlich hoch. Sein Schüler und
Freund Ferdinand Ries etwa berichtet: "Beethoven brauchte viel Geld,
obschon er wenig Gutes und Ordentliches dafür genoß; denn er lebte sehr
einfach!" So manch ein Experte sieht die Finanztragödie Beethovens gar
darin, dass er wenig Sinn für Geld hatte, aber großzügig war. "Keiner
meiner Freunde darf darben, so lange ich etwas hab", äußerte er einmal.
Kein Wunder, dass Beethoven nicht nur in Zeiten mangelnder Produktivität
gelegentlich in die Finanzkrise geriet.
Verlegerische Heimzahlung?
Eine ängstliche Sparsamkeit wurde ihm aber erst in den letzen Jahren
eigen. Die Unfähigkeit, die eigene finanzielle Situation richtig zu
beurteilen, sich schlechter gestellt zu fühlen, als es eigentlich der
Fall war, muss ihn ziemlich viel Nerven gekostet haben. Und dem einen
oder anderen Zeitgenossen wohl auch: Beethovens beständige Klagen über
Geldschwierigkeiten werden nicht nur seinen Verlegern zuweilen gehörig
auf den Wecker gegangen sein.
Vielleicht ist das der Grund – also ein bisschen so etwas wie eine
kleine späte Rache – warum der Verleger Anton Diabelli 1828 einem aus
Beethovens Nachlass ersteigerten und anschließend vervollständigten
Klavierstück den wunderbaren Titel "Die Wuth über den verlornen
Groschen, ausgetobt in einer Caprice" verpasste. Denn von Beethoven
stammte diese verkaufsträchtige Benamung nicht. Er hatte das Stück ja
noch nicht einmal vollendet, als er es um das Jahr 1795 herum in der
Schublade verschwinden ließ. Auf seinem Manuskript stand lediglich
"Leichte Kaprice" und die Tempoangabe "Alla ingharese. quasi un
capriccio". "Ingharese" meint "ungarisch", also temperamentvoll und
feurig. Aber von Wut oder Groschen war bei Beethoven nicht die Rede.
Wut, aber worüber?
Aber sei's drum. Scheinbar kann sich das jeder bildlich vorstellen:
Beethoven hat sich mal wieder extrem übers Ohr gehauen gefühlt und lässt
nun seine Wut darüber an seinem Flügel aus. "O es ist die
liebenswürdigste, ohnmächtigste Wuth, jener ähnlich, wenn man einen
Stiefel nicht von den Sohlen herunterbringen kann und nun schwitzt und
stampft, während der ganz phlegmatisch zu dem Inhaber oben hinaufsieht",
so Robert Schumann über das populäre Virtuosenstück.
Aber eines muss ausdrücklich gesagt werden: Wenn sich der 24-jährige
Beethoven im Wien des Jahres 1795 wirklich über irgendetwas derart
geärgert haben sollte, wie es uns die Affektwelt dieses wilden
Capriccios op. 129 weismachen will, dann war es wohl weniger die Wut
über einen verlorenen Groschen, als vielmehr die Wut über den Groschen,
der nicht fällt.
© Verena
Großkreutz
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