|
Brust oder Kopf?
Ein globaler Trieb: Vom Charme des Jodelns – Die Stimmakrobatik mit
Kehlkopfschlag ist keineswegs nur im Alpenraum zuhause
Beitrag
für die Eßlinger Zeitung vom 1./2. Dezember 2007
Warum zerstören die Marsmenschen in Tim Burtons Filmsatire "Mars
attacks!" die Erde am Ende doch nicht? Richtig! Weil ein junger Held in
letzter Sekunde das Geheimnis der fiesen Außerirdischen erkennt: Einzig
und allein die schrillen Cowboy-Jodler des Country-Musikers Slim Whitman
können sie stoppen. Seine Stimmband-Überschläge sind es, die die Helme
der Marsianer zum Zerplatzen bringen und ihre Gehirne auflösen zu grünem
Pudding. Nur ein effektvoller Gag? Ironische Würdigung der urtümlichen
Kraft, die dem Jodeln innewohnt? Oder womöglich cineastischer Beweis für
den globalen Charakter des Jodelns?
Das Jodeln sei eine "Lustäußerung", die "aus den Tiefen der
menschlichen Seele hervorquillt", so beschreibt jedenfalls der
schweizerische Jodler Franz Stadelmann seine Kunst. Gar einen echten
"Jodeltrieb", der latent im Großteil der Weltbevölkerung vorhanden sei
und zur Virulenz gerate vor allem im Angesicht der Berge,
diagnostizierten Gustl Thoma und Ludwig Merkle in ihrer "Alpenländischen
Jodelschule" von 1977.
Hierzulande verbindet man das Jodeln in der Tat meistens mit der
alpenländischen Kultur. Doch ähnliche Gesangstechniken finden sich
weltweit. Nicht nur in der amerikanischen Country-Music, auch bei den
afrikanischen Pygmäen, den Inuits oder im Kaukasus jodelt man,
in den Gebirgen Thailands und
Kambodschas, auf Hawai, in Mexiko oder Tibet. Wo und wann der
"Jodeltrieb" zuerst zu Tage trat, lässt sich heute nicht mehr sagen. Er
erwachte wohl vor sehr langer Zeit unabhängig voneinander in
verschiedenen Bergländern der Erde.
Frühe Nachrichtenübermittlung
Tatsächlich haftet dem Klang des Jodelns etwas Archaisches an.
Etwas, das mit dem Ursprung von Musik zu tun hat. So besagt eine der
vielen Theorien, dass sich unsere Urahnen deshalb musikalisch zu
betätigen begannen, weil sie sich über große Entfernungen Nachrichten
übermitteln wollten. Dies gilt auch als die Urmotivation des Jodelns.
Zerklüftete Landschaften und deren spezifische akustische Verhältnisse
stellten sich dabei wohl als besonders förderlich für das Holdrioh
heraus. Bis heute ist das so geblieben.
Mit dem "Almschrei" oder dem "Juchzer" (signalartigen, einfach
ausgestalteten Freudenschreien), Zurufjodlern oder lang gedehnten Rufen
mit anschließendem Jodler ist es in den Alpen möglich, sich von Alm zu
Alm zu verständigen, unter
Bauern, Sennerinnen, Hirten, Jägern und Bergsteigern zu kommunizieren,
die Arbeit von Holzfällern zu koordinieren oder auf Gefahren
aufmerksam zu machen.
Ursprünglich war das Jodeln also nicht als Ohrenschmaus gedacht,
sondern stellte ein überlebensnotwendiges Kommunikationsmittel dar. In
den Alpenländern kamen freilich irgendwann raffinierte Ausgestaltung und
Stimmvirtuosität hinzu. Und dann verließen die zur Kunst verfeinerten
Urschreie auch ihre heimischen Gefilde: Seit Beginn des 19. Jahrhunderts
verbreiteten reisende Jodelsänger ihre Kehlkopf-Akrobatik in ganz
Europa, feierten in Metropolen und Musikzentren wie Wien und Weimar,
London und Paris Erfolge. Der reine Jodler verschmolz zuweilen mit
anderen Ausdrucksformen, wurde auch zum Bestandteil von Volksliedern.
Trivialisierung
Heute sorgt die volkstümliche Schlagermusik mit ihren koketten
Dirndllupferinnen und breit grinsenden Pseudo-Bauernburschen in den
entsprechenden Fernsehsendungen für ein trivialisiertes Image des
Jodelns. Ebenso wie der Klamauk von Dauerjodel-Wettbewerben, virtuos
gejodelten Rossini-Ouvertüren oder Loriots
"Jodel-Diplom".
Fern der alpinen Natur stehen eben die heiteren, humoristischen
Aspekte dieser Stimmartistik im Vordergrund. Die spielerischen,
sinnfreien Kombinationen von Lautsilben wie jo-hol-di-o-u-ri-a, ridl-didl-di
oder Duliä-diridio-di-jäho lassen scheinbar weder Pathos noch ernste
Absichten zu. Bei der Verniedlichung des Jodelns spielt sicherlich aber
auch die bildungsbürgerliche Hochnäsigkeit gegenüber "Volkskulturen"
eine Rolle, ebenso das kritisch aufgeklärte Misstrauen gegenüber einer
"Volkstümlichkeit", die mit muffig-biederen Trachtenträgern oder gar
politischen Rechten assoziiert wird.
Mut zur Hässlichkeit
Nicht zuletzt widerspricht Jodeln auf fast allen Ebenen dem
klassischen "makellosen" Singen.
Denn was singende Menschen in der akademischen Ausbildung lernen,
ist der geölte, unmerkliche Wechsel der unterschiedlichen Stimmlagen.
Beim Jodeln aber geschieht das Gegenteil: "Die Stimme gleitet nicht,
rutscht nicht im eleganten Bogen, sie springt abrupt, mit einem so
genannten 'Schlag' ins Kopfregister und rastet im Kehlkopf hörbar in die
neue Lage ein", heißt es in der "Alpenländischen Jodelschule". Der
Charme des
Jodlers ist also der Kehlkopfschlag, der hörbare Registerwechsel.
Verantwortlich dafür ist der Kehldeckel (Epiglottis), der
entscheidet, welchen Hohl- und Resonanzraum die Stimme erhält: Brust
oder Kopf. Der Kehlkopfschlag funktioniert dann am besten, wenn der
Jodler seinen Kopfstimmenton kraftvoll und hart ansingt. Nicht ein
ohrenschmeichelndes Legato ist gefragt, sondern unverbundene
selbständige Töne, die alle einen eigenen Luftimpuls erhalten. Deshalb
werden große
Intervallsprünge bevorzugt.
Jodelnde
Menschen brauchen keinen Text. Sie müssen lediglich passende Vokale und
Konsonanten an die Tonintervalle koppeln. So ist der
jodeltypische schnelle Wechsel von Klangfarben am besten durch das u und
i in der Kopfstimme und die Vokale a, o, u, ä, ü in der Bruststimme zu
bewältigen. Perfekt lassen sich die Selbstlaute durch die Konsonanten j
und l, das Zungen-r und die Kombinationen dr, dl und djr verbinden. In
welcher Reihenfolge dies geschieht, ist von der Kreativität des Jodlers
abhängig. Die
"Alpenländische Jodelschule" macht keinen Hehl
daraus, dass es dabei nicht in erster Linie um Wohlklang geht:
"Der Mut zur akustischen Hässlichkeit ist eine der wichtigsten
Tugenden des Jodelschülers."
Das Jodeln steht allen Lärmemissionsvorschriften entgegen. Deshalb
will es nicht so recht in städtische Gesellschaften passen, in deren
Geräuschhölle man zwar keine Ruhe findet, die aber dennoch gerade die
menschliche Stimme gerne in ihre akustischen Schranken verweist, mit
Ausnahme natürlich des mobilen Telefonierens. Ansonsten heißt es von
klein auf: "Schrei nicht so, sprich leise!" In den Alpen ist das anders:
Der Mensch muss der allgegenwärtigen und gewaltigen Natur etwas
entgegensetzen. Dort in der Einsamkeit scheint man sich an der
menschlichen Stimme eher zu erfreuen als zu stören.
Weltmusik macht's möglich
Im Sog der seit den 1980er-Jahren boomenden "Weltmusik" wurde man
sich aber überall nationaler und regionaler Musik-Traditionen bewusst,
entdeckte auch die alpenländische
Volksmusik wieder. Crossover wurde zum Schlagwort: die
Mischung von traditioneller Musik mit Jazz, Pop, Rock oder Klassik. Im
Zuge dieser Entwicklung etablierte sich auch die "Neue Volksmusik" mit
Gruppen wie Attwenger, Biermösl Blosn, Haindling oder Hubert von
Goisern. Neben eidgenössischen Jodlerfesten wurde von nun an auch auf
städtischen Folkmusikfestivals gejodelt, neben Älplerchörlis gab es
plötzlich politisch engagierte Sänger und junge, urban orientierte
Musiker, die "es" taten.
Dass sich jodelnd ganz neue musikalische Wege gehen und Grenzen
überschreiten lassen, zeigt "Heimatklänge", ein feiner Film, der
kürzlich in die Kinos kam. Er rückt zurecht, was lange fällig war:
Jodeln ist eine ehrwürdige, zutiefst menschliche, globale künstlerische
Ausdrucksform. Der Schweizer Regisseur Stefan Schwietert porträtiert in
seinem Film drei Schweizer Stimmkünstler und erkundet sensibel ihre
geheimnisvollen Klangwelten. Immer wieder schwenkt die Kamera zu den
Klängen eines Gänsehaut erzeugenden, eigenartig schwermütigen,
langsamen, aber dennoch wilden Jodelliedes über bizarre alpine
Gipfelformationen.
Abschied vom Trachtenanzug
Dieses "Zäuerli" singt Noldi Alder, der 1953 in Urnäsch im
Appenzellerland geboren und als "Alder Buebe" berühmt wurde: Er reiste
mit seinen Brüdern von klein auf mit traditioneller alpenländischer
Musik durch Europa. Irgendwann verabschiedete sich Alder vom
Trachtenanzug, verschrieb sich dem Naturjodler. Als experimenteller
Stimmkünstler bleibt er seither auf der Suche nach neuen musikalischen
Darstellungsformen.
Für die globale und zugleich anarchische Seite des Jodelns steht
Erika Stucky, 1962 in San Francisco als Kind eidgenössischer Eltern
geboren. Sie kehrt 1972 mit ihrer Familie zurück in die Schweiz, wo die
zwei Seelen in ihrer Brust künstlerisch aktiv werden: Erika Stucky
verbindet die alpenländische Tradition mit dem amerikanischen
Cowboyjodeln, mit Pop und Jazz. Sie befasst sich mit der Erforschung der
menschlichen Stimme, wie sie selbst sagt. Eines ihrer neuesten
Experimente ist ein Bob-Dylan-Song, der wie selbstverständlich
pygmäisches Jodeln integriert. "Ich
nehme an, der Mensch hat irgendwann mal Lust gehabt beim Reden, den
Genuss noch zu verlängern. Wenn du anfängst, dein Herz auszubreiten,
dann wird der Ton länger. Du wirst nicht knapper, wenn du Emotionen
hast", erklärt sie sich den Ursprung des Jodelns.
Fremd und doch vertraut
Für den 1961 in Zürich geborenen Christian Zehnder hingegen
ermöglicht Jodeln Selbstfindung. "Was für mich als Musiker eminent
wichtig ist, ist die Frage: Woher komme ich? Aus was schöpfe ich? Je
weiter ich zurückgehen kann, desto stärker werde ich im künstlerischen
Ausdruck", sagt er. Der Stimmvirtuose kombiniert die Jodeltechnik mit
exotisch anmutendem
Obertongesang. Als Duo "Stimmhorn" tritt er zusammen mit dem
Alphornisten Balthasar Streiff
auf: Eine mystisch anmutende Klangwelt tut sich da auf,
hochexperimentell, fremd und doch vertraut.
Dass der "Alpenblues" einen fest im Griff haben kann, wird am Ende
von "Heimatklänge" all den Menschen bewusst, die die unbändige Lust
überkommt, selbst zu jodeln. Aber Straßenlärm, graue einförmige
Häuserfassaden, irritiert dreinblickende Passanten lassen jeden Ton in
der Kehle bald gurgelnd versiegen. Autos rasen vorbei. Jemand rempelt
dich an. Mensch schweigt. Dabei hatte Noldi Alder doch eben noch im Film
gesagt: "Das
Allerschönste an der ganzen Sache ist, wenn man singen kann, ohne dass
man sich an etwas anlehnen muss. Wir können so frei sein. Wenn wir
wüssten, wie frei wir sein könnten, würden wir zerplatzen."
© Verena Großkreutz
|

|
|