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Die seltsamen Stürme des Unsagbaren
Bartóks Psychodrama "Herzog Blaubarts Burg"
Beitrag für die
Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Ausgabe
April 2008
Nichts scheint die Menschheit so sehr zu faszinieren wie
blutrünstige Verbrechen. Nicht nur Boulevardblätter profitieren
durch höhere Verkaufszahlen davon, wenn wieder einmal ein
Serienkiller sein Unwesen treibt. Auch Literaten,
Opernkomponisten und Filmregisseure machen die Taten von Würgern
und Meuchlern gerne zu ihren Themen. Dass das Interesse an
schaurigen Bluttaten nichts Neues ist, offenbaren die uralten
Volksmärchen der verschiedenen Länder und Kulturen. Dort wird
seit Jahrhunderten gemordet, was das Zeug hält.
Einer der berühmtesten Märchen-Mörder ist der böse
Burgbesitzer Blaubart, der – je nach Erzählversion – einmal
Ritter, einmal König, einmal Herzog ist. Blaubart brachte in
seiner finsteren Burg unbehelligt seine Ehefrauen um, eine nach
der anderen. Aber auch sein blauer Bart schadete seinem Image,
denn Blau ist keine besonders attraktive Farbe für einen Bart.
Über seine letzte Gattin heißt es deshalb bei den Brüdern Grimm:
Sie wäre "recht glücklich gewesen, wenn sie sich nur an den
blauen Bart des Königs hätte gewöhnen können, aber immer, wenn
sie den sah, erschrak sie innerlich davor."
Ungeheures, ins
Gesicht geschrieben
Warum gruselt sich die Frau vor diesem kuriosen
Gesichtshaarbewuchs? Der Psychologe Helmut Barz weiß eine
Antwort: "Wenn ein Bart, als absichtlich zur Schau gestelltes
Geschlechtsmerkmal, blau ist, dann ist es mit der
Geschlechtsidentität seines Trägers nicht geheuer.
Unsinnlichkeit, Kälte, Härte und Intellektualität prägen ihn in
seiner Identität als Mann, und wahrscheinlich bis hinein in sein
sexuelles Verhalten – so ist es ihm ins Gesicht geschrieben, und
so lässt er es dort stehen. Er scheint auf diese Art von
Männlichkeit ebenso stolz zu sein wie auf seine Reichtümer, und
den Schrecken, der davon ausgeht, scheint er nicht nur nicht
vermeiden, sondern sogar bewirken zu wollen."
Im Märchen macht Blaubart also seinem Namen alle Ehre, wenn
er seiner jungen Frau unter Androhung des Todes verbietet, ein
bestimmtes Zimmer seiner Burg zu betreten. Ihre Neugier zwingt
sie aber dazu, es dennoch zu tun. Der Türschlüssel fällt ihr vor
Schreck aus der Hand auf den blutgetränkten Boden, als sie in
der verbotenen Kammer die Leichen ihrer Vorgängerinnen entdeckt.
Das Blut am Schlüssel lässt sich nicht beseitigen, und so
erkennt Blaubart, als er ihn zurückverlangt, dass seine Frau
sich seinem Verbot widersetzt hat. Wieder überfallen ihn
Mordgelüste, doch seine verängstigte Gattin kann im letzten
Moment von ihren Brüdern gerettet werden, und der fiese Burgherr
wird umgebracht.
Es war tatsächlich
einmal
Das Blaubart-Märchen ist französischer Herkunft, wurde
erstmals von Charles Perrault niedergeschrieben und 1697 in
seinen "Contes de ma mère l’Oye" (Märchen meiner Mutter Gans)
veröffentlicht. 1812 ging es in die Märchensammlungen der Brüder
Grimm ein.
Blaubart hat ein reales Vorbild: den Grafen Gilles de Rais.
Er wurde 1404 geboren, brachte es zunächst als französischer
Heerführer und Mitstreiter Jeanne d’Arcs zu militärischem Ruhm.
Später entwickelte er sich zu einem der monströsesten
Serienmörder aller Zeiten. Er ließ unzählige Kinder, vor allem
Jungen, in sein Schloss entführen, wo er sie als Opfer schwarzer
Magie im Verlauf orgiastischer Gelage bestialisch ermordete.
Erst 1440 machte man ihm den Prozess. Er wurde für schuldig
befunden und gehenkt.
Im Märchen wird der Kindermörder zum Frauenmörder, haben
sich die Begebenheiten verdichtet, verkürzt und verwandelt in
starke Bilder. Bald avancierte der schaurige Blaubart zum
beliebten Bearbeitungs- und Projektionsobjekt der
Kunstschaffenden: So haben sich unter anderem Ludwig Tieck,
Jacques Offenbach, Paul Dukas, Georg Trakl, Alfred Döblin, Max
Frisch, Peter Rühmkorf, Franz Hummel und Pina Bausch der
verstörende Geschichte von männlicher Gewalt und weiblicher
Neugierde angenommen.
Träume sind keine
Schäume
Im Jahre 1911 war es der ungarische Komponist Béla Bartók,
der Blaubart für sich entdeckte und sich vom Märchen zu seiner
einzigen Oper inspirieren ließ: "Herzog Blaubarts Burg" nannte
er sein einstündiges Werk in einem Akt, in dem es nur zwei
singende Bühnenfiguren gibt: Blaubart und seine Geliebte Judith.
Zur dritten Protagonistin avanciert allerdings die Burg selbst,
deren Inneres vom Orchester in plastischen, hochexpressiven
Tongemälden in Szene gesetzt wird.
"Herzog Blaubarts Burg" entstand ganz aus dem Geiste der
damals noch jungen Psychoanalyse Sigmund Freuds. 1899 hatte
Freud seine "Traumdeutung" veröffentlicht, in der er die
revolutionäre These formulierte, dass Träume geheime Wünsche
verraten. Was der Mensch bewusst nicht denken dürfe,
verschlüssle das Unbewusste im Schlaf zu symbolischen
Geschichten. Der Traum wird für Freud zum Königsweg zur Seele,
zur Eingangstür in das Unbewusste.
In der symbolischen, schwer verständlichen Sprache des
Traumes sahen Freud und seine Nachfolger Analogien zu den alten
Mythen und Märchen. Gemeinsam sei ihnen eine Sprache, "die eine
andere Logik hat als unsere Alltagssprache, eine Logik, in der
nicht Zeit und Raum die dominierenden Kategorien sind, sondern
Intensität und Assoziation", so Erich Fromm 1951. Und Carl
Gustav Jung sah in Märchen gar so etwas wie "Kollektivträume"
der Menschheit, weil sich aus dem weltweiten Vorkommen ähnlicher
Märchenmotive auf ein "kollektives Unbewusstes" schließen lasse.
So wundert es nicht, dass Bartóks Librettist Béla Balázs dem
Blaubart-Stoff den letzten Funken Realismus austrieb und
sämtliche Bestandteile des Märchens zu Symbolen einer bizarren
Traumwelt machte.
Das siebte Zimmer
In Bartóks Oper ist das Paar zu echten Liebenden geworden.
Anders als im Märchen hat Judith freiwillig ihre Familie und
ihren Bräutigam verlassen, um Blaubart zu folgen. Die Burg ist
kalt, feucht, dunkel, fensterlos.
Sieben verschlossene Türen wecken Judiths Neugierde. Sie
möchte sie öffnen: "Gib den Schlüssel her, weil ich dich liebe",
fordert sie, und Blaubart gibt zögernd nach. Seine Warnungen
hindern Judith nicht daran, eine Tür nach der anderen
aufzuschließen. Seltsame Ein- und Ausblicke werden ihr gewährt:
in eine Folterkammer, ein Waffenarsenal, eine Schatzkammer, den
Schlosspark, die herrliche Umgebung der Burg, den Tränensee.
Eifersucht treibt sie dazu, auch hinter die letzte, siebte
Tür zu schauen. Sie vermutet dort ihre ermordeten
Vorgängerinnen. Aber als die Türe aufspringt, erscheinen drei
lebende Frauen, stumm, mit Krone, Mantel und Schätzen beladen.
Sinnbilder des Morgens, des Mittags und des Abends, wie Blaubart
erklärt. Judith ist bestürzt. Blaubart versieht nun auch Judith
mit schwerer Krone, Schmuck und Mantel. "Dir wird nun jede Nacht
gehören." Judith resigniert und folgt den anderen Frauen in die
siebte Kammer. Hinter ihr fällt die Tür zu. "Und jetzt wird für
immer Nacht sein", singt Blaubart.
Das Blaubart-Zimmer
in unserer Seele
Die Handlung lässt etliche Deutungen zu. Sicher: Die Burg
steht für das Gehäuse der Seele Blaubarts. Sie seufzt und stöhnt
und weint und blutet. Die sieben Türen führen in die
Vergangenheit, in Blaubarts verborgene Seelenbereiche. Judith
ergründet die Geheimnisse seiner Innenwelt und leitet damit die
Zerstörung ihrer Liebe ein. Denn Blaubart setzt ihrem Misstrauen
seinen wachsenden und schließlich tödlichen Widerstand entgegen.
Aber wofür stehen die einzelnen Zimmer? Ist die Folterkammer
Symbol für Blaubarts innere Qualen? Wessen Tränen füllen den
Tränensee? Wie ist das beklemmende Schlussbild zu verstehen?
Ein Gedanke des belgischen Dichters Maurice Maeterlinck,
dessen Bühnenstück "Ariane et Barbe-Bleue" Béla Balázs als
Vorbild für sein Libretto diente, bringt Licht in das
Fragenwirrwarr: "Es gibt ein Blaubart-Zimmer in unserer Seele,
das man nicht öffnen soll. Sie geben mir heute einen goldenen
Schlüssel in die Hand; doch ich zittere vor der Tür, und ich
weiß, dass dieser Schlüssel ins Blut fallen wird, wenn ich mich
dem geheimnisvollen Befehl widersetze. Es gibt ein inneres Meer
in unserer Seele, ein fürchterliches, wahrhaftes mare tenebrarum,
in dem die seltsamen Stürme des Ungesagten und Unsagbaren
wüten."
© Verena Großkreutz
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